Ein Stück weit Heimat

In einer abseitigen Ecke der ehemaligen Arbeiterkneipe und heutigen Raucherklubs, Gordies steiler Zahn sitzen Hans-Jürgen Blohm, Krisha Malenke und Roland Verroht gemeinsam an ihrem dunkelgebeizten abseitigen Ecktisch.

Hinterm Tresen steht Gordie und rollt beim Anzapfen eines frischen Hellen seine selbstgedrehte geschickt zwischen den Mundwinkeln hin und her, bis die Asche locker in die Spüle fällt, nicht ohne mit ein paar Krumen im Glas von Benno Krotz zu landen, der gelangweilt die kreisenden Scheiben am Spielautomaten Merkur rotieren lässt. Seine Augen haben der bunten Spirale nicht weniger als süchtige Gier entgegenzusetzen. Klar wer dabei am Ende immer gewinnt.

Es ist 17:30 und Gordies steiler Zahn schleppt drei frische Helle unter ihrem drallen Balkon zu den drei Männern an dem abseitigen Tisch in eben dieser Ecke. Ihr türkisfarbener Nylonpulli spannt sich um ihre Oberweite und lässt in einen ausgeleierten V-Ausschnitt tief blicken. Der Zahn hat schon etwas Plaque angesetzt, besticht ansonsten aber durch die Art Weiblichkeit, die Männer sich nur halbseiden zwischen allerlei Nebel und Rauch wünschen. Dann aber umso heftiger.

Es gibt etwas zu feiern. Die Runde frischgezapfter klingt von der Ecke durch den Schankraum mit dem langen Tresen, der Musikbox, den 3 großen Runden Tischen und dem blinkenden Kasten in den Benno seit 2002 sogar Scheine schiebe kann; gibt ja keine Heiermänner mehr.

Jedes jahr vor Weihnachten treffen sie sich, Blohm, Malenke und Verroht.

Früher waren sie mehr, da war der Laden voll. Sie kamen an jedem 23.12. seit sie Abitur gemacht haben und nannten das Saufen in den Heiligen Abend. Da war noch der Schäfer dabei, dessen Bruder kürzlich erst auf seiner Honda in eine Eiche geknallt ist. Der Lobatsch, der immer nicht rauchen durfte und für den immer die Gitanes Mais waren. Da gab es den Harry, Harry Schlimmer der sich bekennend von seiner Freundin auspeitschen ließ. Na ja zumindest war das immer das Gerücht und damit eigentlich fast schon Wahrheit. Trostja Deichbauer der jedem Kerl am Tresen noch eine Runde aus dem Portemonaie leiern konnte und Bille Brüskens.

Auf Bille geht die erste Runde in Gedenken, immer. Über Bille - heute mit 3 Kindern gesegnet und in Diplomatenkreisen unterwegs gibt es immer die Geschichte mit dem Tanzen, nackt auf dem Tisch, dem großen in der Mitte. Nackt, wie es für Halbstarke nackt ist, also mit Slip und BH bis fast zu Schluss auf diesen Stöckelschuhen, die zur Ihr passten wie der Diplomatenprotz aus Südamerika. In Zeiten von Handys und Digitalkameras wäre das heute selbst unter besten Freunden unvorstellbar. Auf Bille.

Mit Schäfers Bruder war hart. Aber so ist man nunmal gesotten und dieses eine Mal im Jahr ist dieses Wiedersehen von Strandgut einzigartig und einmalig und da gedenkt man auch der Toten mit einem zuprostenden Zauber der sie wieder lebendig macht.

Wo mögen sie nur alle geblieben sein. Die Geheinnisse, die das Internet lüftet, werden wohl alle Lokalisten-Wahrheit sein.

Doch es gibt was zu feiern an diesem wie jedem 23.12. Das Stück Heimat, an das man sich halten kann, wenn man wollte. Würdest du kommen, du würdest sie sitzen sehen. Jetzt natürlich mit ihren teuren Uhren und blanken Schuhen und der Kohle, die sie nicht mehr einfach so aus der Tasche ziehen.

In den ersten Jahren kamen sie noch alle zu Weihnachten nach Hause. Und die angehenden Akademiker fanden es schick, die verruchteste Kneipe der Stadt auszuwählen. Nicht so einen Schicki-Micki-Schuppen. Gordies steiler Zahn war Trostjas Idee. Und das funktionierte die ersten Jahre wirklich gut.

Irgendwann wurden es aber immer weniger, bis am Schluss so seit 15 Jahren nur noch die alte Garde zusammensitzt. Die letzten die noch kommen, leben längst auch woanders, verdienen ihr Geld, sind gestrandet, über den Sand gekrabbelt und haben sich ein Stück Insel gesucht und gefunden.

Doch ein Stück Heimat. Bewahrt und ernst genommen. Wünscht man sich manchmal mehr und öfter und überall.

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